Lebensgeschichten

Vorbemerkung: Angeregt von den Ideen des II. Vatikanischen Konzils hatte unsere Gemeinschaft Anfang der sechziger Jahre die Absicht, in Indien eine Mission zu begründen. In einem ersten Schritt kamen zunächst junge indische Frauen, welche sich zu einem Leben als Ordensfrau berufen fühlten, nach Deutschland. Nach einer Berufsausbildung und der Ablegung der Ordensgelübde kehrten sie nach Indien zurück, um dort die Grundlage für die Arbeit unserer Gemeinschaft zu schaffen.
Sr. M. Silvia gehörte zu den ersten indischen Frauen, die 1964 nach Deutschland kamen.

Meine Berufungsgeschichte

von Sr. M. Silvia

Ich heiße Sr. Silvia und bin im katholischen Bundesstaat Kerala in Indien geboren. Eines Tages merkte ich: Jesus hat mich beim Namen gerufen.

Ich habe gespürt, dass Jesus mich beruft! Dieser Ruf war mit der Forderung verbunden: “Verlasse Deine Lieben und Dein Land. Folge mir in ein fernes Land.“

Es wurde mir von der Generaloberin mitgeteilt, dass ich nach meiner religiösen Formation und einer Ausbildung nach Indien, meiner Heimat, zurückfliegen darf, um den Armen und Verlassenen zu dienen. So war ich damit einverstanden und froh.

Nun fing es mit den Problemen an:

Als ich es zu meiner Mutter und Angehörigen sagte, waren sie damit nicht einverstanden und keiner hat mir die Zusage gegeben. Alle waren dagegen, dass ich in ein unbekanntes, fernes Land gehe. Gott aber hat mir den Mut gegeben, alle Schwierigkeiten zu überwinden und voran zu gehen!

Der Tag des Abschieds war gekommen. Alle wurden traurig, dass wir uns auf unbestimmte Zeit trennen mussten.

Wir waren 30 junge Frauen, die für 3 verschiedene Kongregationen ausgesucht waren. Unsere Oberin in Deutschland wollte uns ein Abenteuer schenken, in dem sie uns eine Schiffsreise nach Deutschland vorgeschlagen hatte.

So fuhren wir zuerst von Kerala aus 2 Tage mit dem Zug nach Mumbai (damals noch Bombay) und bestiegen dort ein Schiff nach Frankreich. Zum Glück hatten wir einen jungen Mann aus Kerala, der in Deutschland studieren wollte, als Begleiter. Es war ein französisches Schiff und wir taten uns mit dem Essen sehr schwer. Wir hielten uns die meiste Zeit auf Deck auf. In jeder Kabine waren 3-stufige Betten, also für 3 Personen. Im Schiff war jeden Tag heilige Messe. Da gab es auch einen Fußballplatz, ein Schwimmbad und einen Tanzsaal usw.

Im Indischen Ozean war das Meer sehr unruhig und das Schiff wurde hin und her geworfen. Über uns war der Himmel und unter uns nur Wasser! Eine nach der anderen von uns wurde seekrank. Wir konnten nichts essen außer Äpfeln und nur Wasser trinken. Wir wurden sehr schwach und hatten keine Kraft aufzustehen.

Dies alles haben wir ausgehalten, weil wir ein festes Ziel vor Augen hatten. Jesus braucht mich! Er hat mich gerufen und ich sagte: „Herr ich bin bereit Deinen Dienst zu tun“. Wir hatten Sehnsucht, endlich Land zu erblicken. Jeden Tag haben wir darauf gewartet und endlich - nach 7 Tagen - sind wir in Tibuti (Afrika) gelandet und waren froh Land zu sehen. Dann ging es weiter über Ägypten und Spanien. Am 15. Tag erreichten wir endlich unser Ziel in Frankreich: Marseille. Dort erwartete uns Sr. Hildegardis. Wir wurden herzlich Willkommen geheißen und wir acht Mädchen fuhren mit ihr im Zug nach Koblenz.

Dort wurden wir von allen Schwestern begrüßt. Sie schauten uns mit großen Augen an, weil sie zu ersten Mal indische Mädchen im Sari sahen!

So, endlich waren wir daheim – im Marienhof – Mutterhaus der Schwestern vom Heiligen Geist.

Klima, Essen Umgebung und Sprache – alles war für uns schwer und neu; dazu noch großes Heimweh!

Aber nach einem halben Jahr hatte ich mich gut eingelebt und ich fühlte mich „Daheim.“ Und ich habe unseren Eintritt bis heute nicht bereut.